CHRISTIANE BRAUNE

Gold gibt Macht.
 
Muisca-Floß Künstler unbekannt um 1400/1500
 
Wohin fährt das goldene Floß? Ist die große Figur, die alle anderen Figuren auf dem Floß überragt, ein König? Bevor ein Mann Herrscher der Muisca werden konnte, trugen ihn Priester ans Ufer eines heiligen Sees. Sie entkleideten ihn dort. Rieben die nackte Haut des Mannes mit klebrigem Harz ein und bestreuten ihn mit Goldstaub. Bis sein Körper ganz vergoldet war! Die Priester bestiegen mit dem goldenen Mann ein Floß. Fuhren mit ihm hinaus in die Mitte des Sees. Und warfen dort Schmuck ins Wasser. Schmuck aus Gold! Ihr Geschenk für See und Götter. Die Opfergabe. Zurückgekehrt ans Ufer, wusch sich der goldene Mann. Er machte seinen Körper wieder frei von Goldstaub. Jetzt war er König! Der neue Herrscher der Muisca.
 
Hast du schon einmal Bonbons ins Meer geschüttet? Für das Meer. Damit sein Wasser dich nicht untergehen lässt beim Schwimmen? Was dem einen ein sinnloses Treiben zu sein scheint, kann für einen anderen eine große, womöglich geheime Bedeutung haben. War den Muisca der See heilig, weil sie glaubten, dass ihre Götter in ihm leben? Dachten sie vielleicht, sie müssten den Göttern ihren künftigen König vorstellen? Gehüllt in pures Gold, das sie gleichzeitig Göttern und See zum Geschenk machten? Sollte eine besondere Verbindung zwischen Herrscher und Göttern bestehen, die Gold erschaffen kann?

Auch das Floß, das du hier siehst, ist aus Gold. Und jede Figur, die auf ihm steht. Kannst du dir einen vergoldeten Mann als Teil eines Kunstwerkes auch aus Lehm und Draht gemacht vorstellen? Vielleicht hast du schon einmal von einem Land mit dem Namen El Dorado gehört. El Dorado heißt Der Vergoldete.
Gold kann dir entfliehen.
 
Mark Rothko Gelb und Gold 1956
 
Gold. Aber wieder keines, das du anfassen könntest. Rothko hat auch keinen Eindruck von Gold erzeugt, der zu einer Berührung reizen würde. Hast du nicht trotzdem das Gefühl, Gold strahlt dich an? Gold, das verschwindet, wenn du ihm zu nahe kommst. Gold, das für dich wieder aufscheint, wenn du ihm Raum gibst, da zu sein. Das im Raum schweben kann. Aber nicht wie eine Feder schwebt. Sondern wie ein Gedanke, der sich auszubreiten und einen Raum zu füllen vermag. Aber plötzlich zusammenfällt und sich auflöst. Das Gold auf Rothkos Bild ist so wenig mit dem Finger berührbar, wie ein Gedanke mit dem Finger berührbar ist. Und trotzdem ist das Gold da. Unkörperlich. Nicht wirklich. Es existiert nur in deiner Vorstellung.
 
Erinnerst du dich an die Goldmaske Tutanchamuns? Und das goldene Muisca-Floß? Auf Vasarelys Bild ist das Gold aus Farbe. Und erscheint eingepackt in ein Quadrat. Das Gold auf Rothkos Bild hat keine feste Form. Es braucht einen unbegrenzten Raum. Und besonders viel von deiner Fantasie, um sichtbar zu werden.
Gold veredelt.
 
Giorgio de Chirico Die Familie des Malers 1926
 
Vorsichtig umfängt die goldene Hand eine kleine Gestalt. Ein Kind. Zwischen ihm und der goldenen Frau wachsen Gebäude empor. Geordnet und ungeordnet. Baumaterial bedeckt das Kind. Oder sind die Steinbrocken winzige Häuser? Weder die Frau noch das Kind stört das Gestein. Beide sind sich innig zugeneigt. Sind die Bauwerke vielleicht ein Teil ihrer Körper? Und stören sie deshalb nicht? Wie dich dein linker Arm auch nicht stört, weil er zu dir gehört. Die weiße Figur scheint ein Mann zu sein. Er ist größer als die goldene Frau. Und wirkt stabiler als sie. Verhindern seine Bauwerke, dass er in sich zusammensackt? Stützen sie ihn? Sind auch sie Teile seines Körpers? Hat es nicht den Anschein, als erzählten die Bauwerke etwas über den Mann? Die Fassaden? Die Höhe und die Anzahl der Gebäude? Wie ist ein Mensch, der so baut? Welche Bauten wüchsen aus deinem Körper? Was baute dein Vater? Wie baute deine Mutter?
 
Der Mann schaut der Frau über die Schulter. Er betrachtet sein Kind. Aber er hält sich zurück. Das Umsorgen des Kindes ist eine Angelegenheit der goldenen Frau. Er ist bei ihr. Aber er will ihr nicht zu nahe kommen. Er könnte ein schüchterner Mensch sein, der ungern stört. Oder er freut sich, wie liebevoll seine Frau das Kind im Arm hält. Wo ist sein Arm? Hat er nicht einmal einen, wie die Frau? Vielleicht hat der Mann keine Arme, weil er zuschaut. Dafür braucht niemand einen Arm. Nicht einen. Hat er Augen, mit denen er sehen kann?
 
Vater, Mutter, Kind. Eine Familie. Eine Malerfamilie vor einer Staffelei. Die Bauwerke des Kindes müssen erst noch wachsen. Ob sich sein Kinderkörper auch irgendwann golden färbt? Wie der Körper seiner Mutter? Oder ist das Gold einzig und allein dem Körper der Frau vorbehalten? Hüllte der Maler sie in Gold, um sie zu ehren? Ihr zu danken? Vielleicht ist er voller Bewunderung für sie.
Gold verzaubert.
 
Gustav Klimt Das Leben ein Kampf (Der goldene Ritter) 1903
 
Wie ein Spielzeug steckt der goldene Ritter auf dem Rücken seines Pferdes fest. Das schwarze Tier hat ein weiches, wolliges Fell. Und eine rundliche Gestalt. Der Goldritter wirkt steif und unbeweglich. Wie er das Pferd wohl erklommen hat? Sieht es nicht so aus, als könnte er seine Beine gar nicht bewegen? Wie verständigt er sich mit dem Pferd?
 
Das Tier hat den Vorderhuf gehoben. Der Ritter ist zur Tat entschlossen. Vielleicht wollen beide zu einem Kampf aufbrechen. Aber ist der Ritter wirklich gut für ein Gefecht ausgestattet? Denn seine Rüstung ist aus Gold! Und eine Goldrüstung ist weicher als eine Rüstung aus Eisen. Und sie ist schwerer. Und kostbar! Wahrscheinlich wird der Ritter der Einzige auf dem Schlachtfeld sein, der eine Goldrüstung trägt. Ist der Grund seines Kampfes vielleicht so edel wie das Gold seiner Rüstung? Sind Pferd und Reiter womöglich gar nicht zu einem Schlachtfeld unterwegs, auf dem sie anderen Rittern begegnen werden? Ein Gefecht ohne Schlachtfeld? Was für ein Kampf könnte das sein?
 
Gustav Klimt lässt Ritter und Pferd auf seinem Bild vor Tausenden von goldenen Sternen auftreten. Vor einer Wiese, die mit Blumen übersät ist. Blumen, die als Sterne vom Himmel fielen. Golden tritt der Ritter hervor. Schwarz sein Pferd. Sie sind kampfbereit. Aber sie rühren sich nicht. Ist der Vorderhuf des Pferdes vielleicht erstarrt, in dem Augenblick, als es ihn anhob? Und das Tier kann ihn gar nicht absetzen. Ist vielleicht auch der Ritter in seiner Goldrüstung erstarrt? Sind beide auf dem Bild gefangen? Vielleicht sind der goldene Ritter und sein Pferd verzaubert. Und sie gewähren demjenigen, der sie erlöst, einen freien Wunsch. Weil sie ihren geheimnisvollen Kampf endlich wieder aufnehmen können. Was würdest du dir von ihnen wünschen?
Gold weckt Sehnsucht.
 
Moritz Götze Golden Girl 1989
 
Moritz Götze hat sein Bild Golden Girl genannt. Golden Girl. Goldmädchen. Nannte dich schon einmal jemand Goldkind? Dann aber sicher nicht, weil du ein Kind aus Gold bist. Vielleicht ist ein Mädchen dem, der es Golden Girl nennt, ganz besonders kostbar. Vieleicht ist es ihm lieb, weil es so schön ist. Vielleicht weckt es in ihm die Sehnsucht nach Besitz. Von etwas Schönem. Wie Gold. Wie andere Dinge. Aber lässt ein Mädchen sich wie Gold besitzen?

Das Golden Girl liegt da wie eine Frau mit schönem Körper. Wie in Gold getaucht. Das Haar von gleicher goldener Art wie ihr Gesicht, wie ihre Schulter, ihre Füße. Alles golden. Alles Traum. Doch der Mund ist rot. Wie Leben.
Das Girl blickt himmelwärts. Ein graues Flugzeug steigt hinauf ins Blau. In weiße Wolken. Glatt ist der Himmel. Keine Striche, keine Flecken. Die Wolken ziehen ohne Schatten. Ruhig hin. Auch der goldene Körper ruht. Im Gold, auch im Weiß – keine Struktur. Leere im Blau. Nur die Matratze blüht. Als Ornament. Welt zieht vorüber. Blau und Weiß. Taglicht. Keine Sorgen. – Und doch: Es liegt Melancholie auf diesem Bild. Seine Leichtigkeit hat Schwere.
 
Golden Girl. Bildet es sich seine Schönheit ein? Bilden sich seine Freunde ein, es sei schön? Oder ist es schön und weiß das? – Träumt Golden Girl? Vom Fliegen? Von der Ferne? Von Unerreichbarem? Vom Glück? Erschien ein Traum in seinem Leben? Will eine junge Frau nun nicht mehr sein, was sie war? Vor ihrem Traum? Verehrt sie einen Mann mit Hut? Träumt sie von ihm? Träumt er von ihr? Ist sie durch ihn erst Golden Girl geworden?
Das Mädchen ruht im Goldenen Schnitt. Was ist der Goldene Schnitt? Mit wessen Gold hat er zu tun? Weißt du das? Erinnerst du dich an die goldene Frau auf dem Bild von de Chirico?
Gold kann wie ein Licht sein.
 
Ogata Kōrin Bambus und Pfaumenbaum Edo Periode 18. Jh.
 
Gespitzte Triebe recken sich. Nach links. Nach rechts. Sie tragen Blüten. Welche Farbe haben Pflaumenblüten? Auf dem Bild sind sie golden. Geformt aus zarten schwarzen Linien. Und dennoch leuchten sie wie weiß. Die jungen Triebe mit den Blüten hat ein alter Stamm hervorgebracht. Knochig ist er. Und hat dunkle Augen. Seinen alten Ast bewegt er, wie sich eine Baumschlange bewegt. Festgewickelt mit dem Schwanz wagt sie, den langen Schlangenkörper in die Luft zu strecken. Und schiebt ihn langsam vor. Bis sie sich selbst zu schwer ist. Und ihren eigenen Körper fangen muss. Der alte Ast hat auch versucht, sich aufzurichten und zu strecken. Siehst du es?

Wo steht der Pflaumenbaum? Wo wachsen die Bambusstängel? Keine Pflanze ist an ihrer Spitze ein dickes Rohr. Sondern verjüngt sich. Wird schmaler und zarter. Wie die Triebe des Pflaumenbaumes. Und die jungen Blatttriebe an den Seiten der dicken Bambusstängel. Bambus wächst in schnurgeraden Rohren. Der Maler hat sie ebenso gemalt. Und auch die riesige Höhe der Rohre zeigt er dir. Auch wenn du sie nicht vermessen kannst. Er lässt dich ihre Höhe nur erahnen. Indem er den Blick auf Anfang und Ende der Pflanzen versagt. Er zeigt ein Mittendrin mit Rahmen. Damit der Bambus zu den Sternen wachsen kann. – Du aber sollst dableiben und nicht entkommen. Dein Blick soll auf dem Bild verweilen. Was hält ihn fest? Das Gold? Es leuchtet wie ein Licht. Und verbirgt zugleich hinter einem schimmernden Vorhang eine geheimnisvolle Welt.